als das Vorderrad von der Felsplatte kippt weiss ich dass es schiefgehen wird. Der Aufprall katapultiert mich über den Lenker, Kopf voraus falle ich. Ein dumpfer Schlag. Sterne, Stille.
Nach einem kurzen Check weiss ich dass etwas mit den Beinen nicht stimmt. Nicht ich- nicht jetzt, mit 28. Ich bleibe ruhig und rufe um Hilfe. S. kommt, beruhigt mich, hält einen anderen Fahrer an um Hilfe zu holen. Ich ziehe meinen Helm vom Kopf, versuche immer wieder mich aufzusetzen- warum geht das nicht? Ich bitte S. meine Beine auszustrecken…sie sind es bereits und mir wird noch kälter. Vielleicht ist es ja nur vorübergehend, geprellt, und es kommt alles wieder zurück. Ich beschließe nie wieder Mountainbike zu fahren.
J.-M. , ein Mitarbeiter des Bikeparks kommt, gibt mir eine Notfall-Foliendecke- mir ist eiskalt, ich zittere. Während er über sein walkie-talkie Hilfe holt gehen mir Millionen von Gedanken durch den Kopf. Ich kann mich nicht aufsetzen, also betrifft die Lähmung nicht nur die Beine– mir wird schlecht als ich weiter darüber nachdenke, Angst. Immerhin spüre ich Berührungen an den Beinen, etwas muss noch da sein. Es dauert ewig bis die Bergung beginnt, die Rettungskräfte finden uns nicht, J.M. versucht immer wieder sie an den Unfallort zu dirigieren. Ein Hubschrauber beginnt über uns zu kreisen. Wegen mir? Völlig übertrieben! Feurwehrleute kommen, sind auf Grund der Verletzung ratlos (ne touchez pas!!), decken mich zu. Ich schüttele bereits vor Kälte, und habe Angst die Verletzung dadurch zu verschlimmern. Sie beginnen mir die Protektoren vom Körper zu schneiden. So langsam setzen auch die Schmerzen ein- ich liege ja noch auf meinem Rückenprotektor, wahrscheinlich drückt der…E. kommt, setzt sich zu mir, beruhigt mich. Ich sage ihr dass ich Angst habe, bitte sie meinen Bruder anzurufen- nicht meine Eltern, nicht die Pferde scheu machen, wird schon nicht so schlimm sein.
Endlich kommt auch der Notarzt und die Crew des Hubschraubers. Um mich herum wird französisch gesprochen, was das Wort „paraplégique“ bedeutet weiss ich zum Glück noch nicht. Ich soll nach Colmar gebracht werden, ich will nach Freiburg. Der Notarzt telefoniert kurz, Freiburg kann mich aufnehmen. Dann geht alles schnell und routiniert. Ich werde in eine Vakuummatratze gepackt, auf eine Schaufeltrage gelegt und bekomme einen Stiffneck verpasst, Zugänge gelegt. Mittlerweile liege ich seit ca. 2 Stunden im Wald, die Rückenschmerzen explodieren– ich muss auf irgendetwas liegen. Die Bergungscrew trägt mich einige Meter bis auf die nächste Lichtung, der Hubschrauber beginnt wieder zu kreisen. Gemeinsam mit einem der Retter werde ich nach oben gewincht. Im Hubschrauber erkenne ich den Notarzt wieder, es ist laut, rüttelt und stinkt nach Kerosin. Mir wird schlecht, ich versuche die Augen zu schliessen und mich zu beruhigen.
Nach der Landung in Freiburg werde ich durch Gänge geschoben, komme schliesslich in den Schockraum. Blut an der Decke. Ich werde ins CT geschoben, verdammt- nicht bewegen, jede Bewegung schmerzt jetzt höllisch. Die Diagnose wird durch den Raum gerufen. Wirbel gebrochen und zertrümmert? Das kann nicht sein, es ist nur geprellt, weshalb denn operieren?Querschnitt…bitte, bitte nicht!
Alleine auf dem Flur habe ich Zeit nachzudenken. Das kann alles nicht wahr sein. Trotz Heizdecke ist es verdammt kalt, ich fange wieder an zu zittern. Ich habe Angst. Ich frage nach einem Telefon, versuche meinen Vater zu erreichen. Mailbox. Ein Arzt läuft fluchend an mir vorbei…“ob man sein Wochenende jetzt schon nach irgendwelchen Sportlern richten müsse“. Ich weiss dass ich gemeint bin. Dann kommt der Anästhesist und klärt mich über die Risiken der Narkose auf, erklärt mir dass man mich auf Grund des Stiffnecks bei Bewusstsein intubieren wird. Die wollen wirklich operieren. Ich bitte ihn mir meine Kontaktlinsen rauszunehmen, er ist erstaunt dass ich jetzt daran denke…
Ratsch, ein Pflaster wird abgerissen, ich werde extubiert, gefragt ob ich weiss wo ich bin. Ich weiss es. Ich weiss dass etwas mit den Beinen ist. Um mich herum piept es, ich bekomme sofort wieder etwas gegen die Schmerzen und dämmere weg. Als ich wieder aufwache ist mein Vater bei mir, ich sage ihm dass jetzt alles anders wird. Die Nacht (?) ist furchtbar, irgendwer neben mir hat starke Schmerzen. Ich frage öfters nach einem Schmerzmittel, die Schwester drückt mir dann etwas in den Zugang und sofort wird es besser. Albträume, farbige Punkte aus denen Monster und Spinnen werden. Als ich wieder aufwache kommen meine Mutter und mein Bruder. Er sieht mich und verlässt den Raum wieder- sehe ich so übel aus?
Nach einem (zwei?) Tagen werde ich auf die Station „Bätzner“ verlegt. Ich kann nur die Decke sehen, jede Bewegung schmerzt, ich kann die Drainageschläuche im Rücken spüren auf denen ich liege. Der Stationsarzt nimmt sich viel Zeit mir zu erklären was operiert wurde, wie das Rückenmark beschädigt ist. Eine Prognose gibt er nicht ab. Stark sediert verstehe ich die Diagnose, mache mir zum ersten Mal Gedanken was es bedeutet querschnittsgelähmt zu sein- wird schon nicht so schlimm sein, ich werd schon klarkommen. Alles tut weh, unterhalb meiner Brust ist alles taub, ich bekomme kaum Luft- um meine Lunge ist ein Stahlgürtel gespannt. Ich lege meinen Arm auf ein Kissen und stelle erschrocken fest dass es mein Bauch ist, versuche etwas zu trinken, verschlucke mich, kann nicht husten, kann mich nicht drehen, nichts. Immerhin funktionieren die Hände! Mein Handy taucht wieder auf, ich schreibe zwei SMS: einen Hilferuf an meine Freunde (ich kann mich an den Text nicht erinnern), eine Terminabsage für den kommenden Montag. Die Zeit in der die Schmerzmittel wirken kann ich entspannen, schlafe sofort ein. Wenn ich wach bin versuche ich Scherze zu machen. Besuche sind anstrengend, keiner weiss was er sagen soll. Niemand weint, aber um mich herum sehe ich verquollene Gesichter. Ich versuche alle zu schonen- „wird schon wieder…“. Wird es nicht!. Irgendwann werde ich kurz aufgesetzt (verdammt, ich kann ja nichtmal allein sitzen), nach zehn Sekunden wird mir schwarz vor Augen. Dann werden die Drainageschläuche gezogen, mir bleibt kurz die Luft weg. Die Rückenschmerzen lassen deshalb aber nicht nach. Ich bekomme Blutkonserven (ausgerechnet in Freiburg… ). In der Nacht wache ich auf, mein rechter Arm ist eingeschlafen. Nein!! Ich schüttele ihn, schlage auf die Matratze bis ich ihn wieder spüren kann. Die Angst auch noch die Handfunktion zu verlieren wird mich noch die nächsten Wochen verfolgen.
Nach fünf Tagen dann große Hektik. Der Hubschrauber kommt früher als erwartet. Ich bitte den Notarzt mir etwas gegen Übelkeit zu geben, er drückt mir etwas in den Zugang, noch im Satz fange ich an zu lallen. Der Himmel ist strahlend blau, nach einem kurzen Flug bin ich in Schlierbach.
Es tut unheimlich gut das alles aufzuschreiben- jetzt, nach 5 Monaten kann ich es endlich.